Vernetzung gibt Kraft

Bericht von der Strategiekonferenz sozialer Bewegungen „Zusammen wirksam!“ vom 18.-20. Oktober 2019 in Berlin


„Wir atmen dieselbe Luft. Wir müssen zusammenkommen. Wir können Probleme nur zusammen lösen.“ So brachte der Aktivist Alassane Dicko aus Mali auf der Strategiekonferenz der Bewegungsstiftung die Notwendigkeit zur Vernetzung auf den Punkt. Und darum ging es: Dass soziale Bewegungen angesichts von Rechtsruck, sozialer Spaltung, Klimakrise und Abschottung Europas zusammenkommen, sich austauschen und ihre Kräfte bündeln.

Unter dem Motto „Zusammen wirksam!“ hatte die Bewegungsstiftung vom 18. bis 20. Oktober 2019 zur Konferenz geladen. 200 Aktive aus verschiedenen sozialen Bewegungen waren ins Refo Moabit gekommen, eine Kirche in Berlin-Moabit, die auch für Veranstaltungen offen steht. Sie erlebten drei Konferenztage mit intensiven Diskussionen, viel Austausch über Strategien und konkretem Pläneschmieden.

Das Spektrum der Teilnehmenden war breit gestreut. Menschen aller Altersgruppen aus 150 verschiedenen Gruppen, Bündnissen und Organisationen waren dabei, von der Friedens- über die Antira-, Frauen- und Klimabewegung, bis hin zur Mieter*innen-Bewegung und Menschen, die sich für Datenschutz, eine Agrarwende, die Rechte von Menschen mit Behinderung oder globale Gerechtigkeit einsetzen.
Die Essensversorgung durch die Aktionsküche Fläming Kitchen, zusätzliche Kompostklos im Hinterhof und eine meterlange bunte Zettelwand mit Steckbriefen der teilnehmenden Organisationen brachten Aktionsambiente in die kirchlichen Räume.


Startpunkt war am Freitagabend eine Podiumsdiskussion, bei der Vertreter*innen verschiedener Bewegungen ihre Strategien vorstellten. Alassane Dicko vom transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact berichtete, wie das Bündnis Menschen in Westafrika für die Themen Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung mobilisiert. Abenaa Adomako von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland berichtete von der Vernetzungsarbeit des Vereins, um Rassismus zu bekämpfen.

Maren Kleinfeld von der Kampagne #WannWennNichtJetzt erklärte, wie ihre Marktplatz-Tour gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland auch zur besseren Vernetzung von linken Projekten vor Ort beigetragen hat. Und Maximilian Reimers von Fridays for Future hob hervor, dass man gesellschaftliche Probleme nicht isoliert betrachten könne. „Alle sind von allem betroffen. Wir müssen die Probleme gemeinsam angehen – in einer demokratischen und ökologisch und sozial gerechten Gesellschaft.“ Dementsprechend zeigten sich viele Teilnehmenden auch vom Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien betroffen und brachten im Anschluss bei einer Solidaritätsaktion ihre Verbundenheit mit den Menschen in Rojava zum Ausdruck.


Der Samstag begann dann mit einer Großgruppeneinheit der besonderen Art. In 18 Kleingruppen stellten Organisationen wie LobbyControl oder Adopt a Revolution, aber auch Bewegungen wie das Unteilbar-Bündnis, Extinction Rebellion und Seebrücke, sowie die Atomwaffen-Gegner*innen von ICAN und die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ ihre strategischen Ansätze vor. Auch kleinere Organisationen wie das Peng!-Kollektiv waren vertreten und warben dafür, in sozialen Bewegungen neue Wege zu gehen. Jean Peters berichtet, wie Peng! mit subversiver Aktionskunst Rüstungs- Kohlekonzerne und Geheimdienste in die Enge treibt: „Wir überlegen immer: Was muss ich tun, damit die Gegenseite reagiert? Dafür kannst du eine Demo mit einer Million Menschen organisieren. Das ist sehr, sehr viel Arbeit. Oder du kannst auf Kommunikationsguerilla setzen.“

Die Klima-Aktivist*innen von Extinction Rebellion (XR) setzen dagegen auf massenhafte gewaltfreie Aktionen, um die Politik zum Umsteuern zu bewegen und verwiesen auf erfolgreiche historische Vorbilder. Eine XR-Vertreterin stellte fest: „Wenn es möglich ist, mit zivilem Ungehorsam sogar Diktaturen zu stürzen, dann muss in einer Demokratie wie unserer umso mehr möglich sein.“


Am Nachmittag ging es in mehreren großen Diskussionrunden um Alltagskämpfe, utopisches Denken, Transnationalismus, ökologische Krise und Systemwandel und die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Diskutiert wurde etwa die Frage, wie Menschen über Alltagskämpfe praktisch zusammenkommen können. Eine Vertreterin vom Bündnis „Zwangsräumung verhindern“, machte anschaulich, was damit gemeint ist: „Wir beteiligen uns auch an Blockaden, wenn Abschiebungen verhindert werden sollen und erleben umgekehrt, dass viele Leute von Extinction Rebellion kommen, wenn wir eine Zwangsräumung verhindern wollen. Das stärkt und gibt Kraft.“

In einer weiteren Diskussionsrunde wurde darüber diskutiert, ob die Klimakrise jetzt das bestimmende Thema für alle sozialen Bewegungen sein sollte. Schnell war man sich einig: Nein, aber es wäre hilfreich, wenn alle Bewegungen überlegen würden, was ihr eigenes Thema mit Klimagerechtigkeit zu tun hat und diesen Zusammenhang dann aufzugreifen. Beim Thema Klimakrise hatten auch Gefühle wie Wut, Angst, Trauer und Hilflosigkeit ihren Raum. Alle waren sich darin einig, dass dies ein wichtiger Schritt sei, um bei seinem Engagement authentisch sein zu können. Zwischen den Gruppendiskussionen war viel Zeit für direkten Austausch und kollegiale Beratung eingeplant, ein Angebot, dass von vielen Teilnehmenden genutzt wurde.


Der Sonntag war dann fürs Pläneschmieden und Verabredungen treffen reserviert – mit vielen konkreten Ergebnissen, die anschließend im Plenum vorgestellt wurden. Um einige Beispiele zu nennen: Die Organisation „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB) gab auf der Konferenz bekannt, eine Crossover-Kampagne zu Daseinsvorsorge und Klimaschutz zu starten und dabei das Thema Bauen und Mieten in den Blick zu nehmen. Vorläufiger Arbeitstitel: Wohnungstausch statt noch mehr Beton. „Wir hatten den CO2-Austoss durch Neubau schon vorher ins Auge gefasst“, erklärte Carl Waßmuth von GiB. „Aber die Reaktionen auf der Konferenz haben uns noch einmal bestärkt und uns gezeigt, wie viele Menschen das Thema bewegt.“ 

Eine Aktivistin aus der solidarischen Ökonomie erklärte, eine Soli-Kampagne für linke Projekte, die sich in einem rechten Umfeld behaupten müssen, starten zu wollen. Und ganz konkret: Bald soll es eine Broschüre in Bildsprache geben, die das Hilfsnetzwerk Alarmphone an Migrant*innen verteilen will, die sich auf den Weg durch die Sahara machen. Hier scheitert die überlebenswichtige Informationsvermittlung bisher häufig an Sprachbarrieren. Zu diesem Projekt hatten sich Afrique-Europe-Interact und die Illustratorin Ka Schmitz verabredet, die während der Konferenz, die Diskussionsergebnisse auf großen Stellwänden als Graphic Recording festgehalten hatte.


Neben diesen konkreten Vorhaben hoben viele Teilnehmenden als wichtigstes Ergebnis der Konferenz den Austausch und die Vernetzung über Bewegungsgrenzen hinweg hervor. „Auch wenn wir alle mit unseren eigenen Bewegungen viel zu tun haben: Wir müssen uns für diese Vernetzung Zeit nehmen“, appellierte ein Antira-Vertreter in einer der Diskussionsrunden. „Denn das gibt Kraft und bringt uns zu einer gemeinsamen Erzählung, die wir brauchen, um in die Offensive zu gehen.“ 

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